Eine Weiterbildung zum Themengebiet Mehrsprachigkeit
Ich bin eine Finnischlehrkraft für Finnisch als Erst- und Zweitsprache. Ich nahm an einer mehrsprachigen Weiterbildung in einer Schule der Sekundarstufe II mit Finnisch als Unterrichts- und Bildungssprache Teil. Bei dieser Übung arbeitete ich mit einer Gruppe angehender Finnisch- und Englischlehrkräfte zusammen. Unser Ziel war herauszufinden, wie wir fächerübergreifend arbeiten können und im weiteren Sinn, den Schüler_innen ihre vorhandenen sprachlichen Kompentenzen bewusstzumachen. In der beteiligten Schule arbeiteten wir mit den Finnisch-, Englisch- und Finnisch als Zweitsprache-Lehrkräften der Schüler_innen zusammen. Diese Erfahrung zeigte mir, dass man in der sprachlichen Bildung viel verbessern kann. Mir wurde zum Beispiel klar, dass die Zusammenarbeit zwischen den Bildungsverantwortlichen der einzelnen Sprachen noch ausbaufähig war und dass einzelne Sprachen völlig unabhängig voneinander unterrichtet wurden.
In unserem Unterrichtsexperiment wollten wir 13-jährigen finnischen Schüler_innen Aktivitäten anbieten, bei denen sie ihr Alltagswissen über Sprachen und unterschiedliche Textsorten anwenden und all ihre Sprachenkompetnezen wertschätzen können, unabhängig davon, ob sie diese formal oder informell erworben hatten. Unseren Schwerpunkt legten wir dabei auf informelles Wissen und Verstehen, z.B. das Lernen durch Filme, Spiele, Musik, Social Media etc. Wir wollten, dass diese Kompetenzen aktiviert und eingesetzt wurden. Ein weiteres Ziel bestand darin, die Schüler_innen zum Erlernen weiterer Sprachen zu motivieren. Einige Schüler_innen kamen aus zweisprachigen Familien und wir wollten, dass ihren Familiensprachen Wertschätzung entgegenggebracht werden würde.
Wir begannen unsere Weiterbildung mit dem Kennenlernen der beiden Gruppen, indem wir eine Umfrage durchführten, in der wir nach den Sprachen in ihrem Alltag und ihren Sprachenkompetenzen fragten (für letzteres setzten wir funktionale Deskriptoren ein, wie z.B. “Ich kann Liedtexte mühelos in dieser Sprache verstehen”, “Ich kenne einige Ausdrücke”. Ebenso fragten wir ihren Mediengebrauch ab: Fernsehen, Musik, Spiele und Internet. Als Hausaufgabe baten wir die Schüler_innen, unterschiedliche Situationen zu fotografieren, in denen andere Sprachen eine Rolle spielten. Einige dieser Fotos sehen Sie weiter unten.. So bekamen wir einen guten Einblick in die große Vielfalt der Sprachen und vielsprachigen Medien, mit denen die Schüler_innen in ihrem Alltag konfrontiert waren. Es war interessant zu beobachten, mit welcher Begeisterung die SuS nun auch noch so kleine Kompetenzen wahrnahmen: “Hey, ich kann “bonjour” sagen, zählt das auch?”
Wir organisiserten eine “lebende Bibliothek”, zu der wir Menschen mit unterschiedlichem sprachlichem und kulturellem Hintergrund als “lebende Bücher – living books” einluden. Die Bibliothek bestand aus Menschen aus Ecuador, Estland, China und jemandem, der in finnischer Gebärdensprache kommunizierte. Diese Menschen beantworteten dann Fragen über ihre kulturellen und sprachlichen Erfahrungen. Weitere Aktivitäten umfassten die Erstellung eines Facebookprofils für jemanden, von dem nur die Liste seiner “likes” bekannt war und einem Rollenspiel, bei dem es um sprachliche Missverständnisse ging. Während den Unterrichtsstunden wurden die Schüler_innen aufgefordert, jede Sprache zu verwenden, die sie wollten. Dies führte dazu, dass sie Englisch, Schwedisch, Finnisch und Französisch benutztn, während einige in der “lebenden Bibliothek” auch ihre Familiensprache Spanisch zur Unterstützung ihrer MitSchüler_innen nutzten. Weiters führten wir eine an Prinzipien von CLIL angelehnte Stunde durch, in der wir ausschließlich auf Englisch kochten, was nach anfänglichem Widerstand auch hervorragend funktionierte.
Insgesamt gesehen erwies sich dieses Experiment als höchst lehrreich und inspirierend. Gleichzeitig warf es neue Fragen und Probleme auf: Welche Settings würden die Zusammenarbeit Bildungsverantwortlicher verschiedener Sprachen begünstigen? Wie kann das Prestige der Fmiliensprachen der Schüler_innen gesteigert und wie können sie stärker eingebunden werden? Wie lassen sich Schüler_innen (und Lehrkräfte) von den Vorteilen informell erwobener Kompetenzen überzeugen? Welche Aktivitäten ermöglichen den Einsatz der gesamten Sprachenrepertoires der Schüler_innen? Welchen Stellenwert haben Schulbücher im Kontext eines mehrsprachigen Ansatzes? Bemerkenswert erschien uns darüberhinaus die große Motivation der Schüler_innen während dem gesamten Experiment, obwohl es sich völlig von ihrem Schulalltag unterschied. Wie einfach ist die Integration solcher Inhalte in den “Alltag” des Sprachenunterrichts? Die Minimalanforderungen dafür sind fächerübergreifende Zusammenarbeit und Anerkennung der großen Vielfalt an Sprachen und Sprachvarietäten, die den Schüler_innen vertraut sind.
|